Hauptberuflich beschäftige ich mich derzeit ja mit Podcastproduktion, deshalb habe ich mich besonders gefreut, dass ich einen Sketchnote-Auftrag in Zusammenhang damit bekommen habe: Die Eröffnung der RadioDays Europe, die von 17.-19. März in der Messe München stattfanden, grafisch festzuhalten.
In einer Stunde traten dort neun Speaker:innen plus zwei Moderator:innen plus zwei Musiker auf, da wurde der Platz auf der digitalen Kritzelei schon knapp – auch wenn sie dann auf der ganz großen Bühne (die größte, die ein Sketchnote von mir jemals gesehen hat) projeziert wurde:
Peter Niegel hat die Veranstaltung eröffnet, Katja Wildermut (Bayerischer Rundfunk) und Dr. Thorsten Schmiege auf die Magie des Radios und die Erfolgsstory Privatradio hingewiesen. Minister Florian Hermann hat die Bedeutung von Radio für die Demokratie hervorgehoben. Stefan Möller sieht das Radio als den zuverlässigen Taktgeber der Audiobranche und Edita Kudlacova (European Broadcasting Union) freut sich über die institutionelle Anerkennung von Radio als Kulturgut. Lars Bastholm ließ Orson Welles wiederauferstehen und scheiterte beim AI-generieren eines Steckenpferds. Marianna Spring betonte die Wichtigkeit des „Rausgehens“ für ihre Rolle als Disinformation Officer der BBC. Und bei Kara Oehler blieb mir schon keine Zeit mehr zu kritzeln, sehr schade, denn sie zeigte den Sound des Klimawandels und Wale, die mit Containerschiffen „konkurrieren“.
Aus technischen Gründen saß ich zum Sketchnoten weit oben über dem Publikum und der Bühne im technischen Kontrollraum, neben mir die Videoregie. In den paar Minuten vor Beginn bekam ich spannende Einblicke in die Produktion einer großen Konferenz-Bühnen-Show und eine Ahnung davon, wie viele Leute daran beteiligt sind. Während der Keynote war ich dann zu 100% auf den Inhalt fokussiert, denn ich arbeitete auf harte Deadline, immerhin wurde meine Grafik dann Teil der Abmoderation.
Nach der Keynote brauchte ich dann erstmal eine halbe Stunde zum Runterkommen (so viel Adrenalin für so viel Konzentration!), aber dann stürzte ich mich als Zuhörerin ins restliche Vortragsprogramm… Beziehungsweise hatte ich das schon am Vortag des Openings getan, beim etwas losgelösten „Podcast Summit“ der Konferenz:
Podcast Summit Opening – Maria Lorenz-Bokelberg (pool artists), Matthieu Rawolle (EBU), Arielle Nissenblatt (Descript)
Maria Lorenz-Bokelberg hat überthe bad (Entlassungen, ständige Strategiewechsel), the good (Marktwachstum, immer mehr Hörer:innen!) und the ugly-ish (Wir müssen Podcasts ernstnehmen, sonst macht es niemand) geredet. Sie plädiert dafür, die Branche so zu formen, wie sie uns passt – Podcasting ist immer noch vergleichsweise jung und wir bestimmen die Regeln!
Matthieu Rawolle von der European Broadcasting Union hat vor allem viiiiiiele Zahlen vorgestellt. Sonstige Key-Takeaways: Leute die nicht Podcasts hören, tun das meistens, weil sie noch nichtmal von Podcasts gehört haben. Und: Podcasts werden meistens durch Hörensagen-Weiterempfehlung entdeckt!
Zuletzt hat Arielle Nissenblatt in atemberaubendem Tempo über Podcastmarketing gesprochen. Wichtig dabei: 1. Die Podcastlandschaft kennen 2. Hörer:innen dort abholen, wo sie JETZT sind und 3. strategisch Publikum von anderen „ausleihen“.
From Ads to Z – Norma Jean Belenky (Podbean)
Zufällig bin ich als nächstes beim Adtech-Talk von Norma Jean Belenky (Podbean) gelandet, die wirklich SEHR viele Abkürzungen in SEHR kurzer Zeit untergebracht hat. Und die Hochrechnung, dass der Podcastwerbemarkt 2024 bis zu 4 Mrd US-Dollar hergeben könnte.
Go shorter: The story of ABC quick smart – Andrew Davies (ABC)
Ein kurzes Sketchnote zu einem kurzen Talk zu einem kurzen Podcast vom australischen Rundfunk ABC: Andrew Davies hat „ABC Quick Smart“ vorgestellt, bzw. eher die Entwicklungsphase dieses Formats.
Besonders wichtig bei kurzen Podcasts: keine Zeit mit Begrüßung und anderem Geplänkel verlieren. In nur 10 Worten wird das ganze Konzept zu Beginn des Podcasts auf den Punkt gebracht – „The show that feeds you big ideas in bite sized pieces“. Das half den Produzent:innen in der Entwicklung beim Konkretisieren und den Hörer:innen beim Entscheiden, ob der Podcast was für sie ist. Die Hosts gehören zur selben demographic wie die angestrebten jungen Hörerinnen. Mit ihrem lockeren Moderationsstil helfen sie nebenbei ein bisschen beim kulturellen Wandel der Radioorganisation, so Andrew Davies.
Decentering Humans – Kara Oehler
Kara Oehler ’s Klimakrisen-Talk konnte ich auf dem Eröffnungssketchnote wegen des technischen Ablaufs leider nicht mehr festhalten, dafür bin ich gleich im Anschluss zum Klimapanel gegangen. Dort hat sie ihr „Institute for Climate Sound & Society“ vorgestellt bzw. klar gemacht, warum es hörbare Forschung in dem Bereich braucht. Sie hat den Klang der Wüste, Erdbeben-Sounds nach Fracking, einen gar nicht biodiversen „carbon capture“ Plantagenwald, Wal-Namen und vieles mehr vorgespielt, nebenbei hat sie die Arbeit sehr vieler Wissenschaftler:innen und Journalist:innen aus dem Bereich vorgestellt. Super spannend!
Three women shaping the future of the podcast business – Nawal Hadrami (Calliopé), Jeanne Drach (OH WOW), Maria Lorenz-Bokelberg (pool artists), Arielle Nissenblatt (descript)
Ich bin als OH WOW Podcasts-Mitarbeiterin vielleicht ein bisschen biased, aber das Panel „3 Women Shaping the future of the podcast business“ war eines der unterhaltsamsten/motivierendsten auf den Radiodays Europe. Arielle Nissenblatt hat Nawal Hadrami (CALLIOPÉ), Maria Lorenz-Bokelberg (Pool Artists) und meine Chefin Jeanne Drach über ihr business ausgefragt. Die main message: lass dir nicht einreden, dass du nicht CEO sein kannst, nur weil du nicht aussiehst, denkst und handelst wie der stereotype CEO!
The BBC’s disinformation correspondent. Life in Conspiracyland– Marianna Spring and Sam Bonham (BBC)
Marianna Spring ist die erste Disinformation Officer bei der BBC und beschäftigt sich mit Verschwörungserzählungen, Online-Hass und deren Konsequenzen in der „echten“ Welt. Sie verkörpert einen neuen Typ öffentlich-rechtlicher Reporterin: investigativ und gleichzeitig empathisch, multimedial und nah dran an neuen (jungen) Zielgruppen. Im Gespräch mit Sam Bonham hat sie aus ihrem Arbeitsalltag und von ihrem Zugang erzählt:
„Fact-checking itself is not enough“. Rausgehen, mit Verschwörungsgläubigen, Trollen und Opfern von online Hass reden (und zwar nicht nur für ein schnelles Interview, sondern über lange Zeit hinweg) ist ihr Job, der sie zur meist angegriffenen gestaltenden Mitarbeiterin der BBC macht. Aus diesen persönlichen Erfahrungen hat sie einen eigenen Podcast gemacht, „Why do you hate me?“. Was ich mitgenommen habe: Den Hass NIE akzeptieren.
BBC Sounds connecting our listeners to the music, radio adn podcasts they love – Jonathan Wall & Katie Tully (BBC)
Die Session zu „BBC Sounds“ hatte ich mir schon im Vorhinein gebookmarked, weil ich mich vor Kurzem am Rande meiner Masterarbeit über Podcastplattformisierung mit public service platform playern beschäftigt habe. Jonathan Wall hat die Gesamtstrategie der Sounds-Plattform (es ist mehr als eine App, das hat er mehrmals betont: SmartTV, Smart Speaker usw) vorgestellt, leider auf einer so winzig gesetzten und vollbepackten Slide, das ich nichts davon entziffern konnte (so sad!).
Was ich mitgenommen habe: BBC Sounds gibt es seit fünf Jahren und das hat wesentlich dazu beigetragen, dass sie die zweitgrößte Podcastapp in UK ist (nach Spotify). Ultimativ will BBC Sounds die meistgeliebte und vertrauenswürdigste Audio-Plattform in UK werden. Gleichzeitig soll lineares live Radio unter allen Umständen verteidigt werden, hochwertige Podcasts produziert werden und mit anderen, privaten Plattformplayern zusammengearbeitet werden. Das bedeutet konkret, dass die BBC ihre „factual“ Berichterstattung ausbauen will, mehr celebs und Entertainment (Lily Allen hat seit kurzen ihren eigenen BBC-Podcast) einplanen will, international (v.a. In die USA) wachsen will und außerdem auf commissions und licensing setzt. Im eigens geschaffenen „AudioLab“ sollen sich neue Talente, die sonst nicht bei der BBC gelandet wären, entfalten können.
Katie Tully ist Head of Curation bei BBC Sounds. Sie betonte, wie wichtig es ist, Personalisierung der Inhalte mit menschlicher Kuration zu verbinden (insbesondere, um den öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen). Voraussetzung dafür sind einheitliche und umfassende Metadaten über alle Inhalte hinweg. Ihr Ziel ist es, eine community aufzubauen – auf Instagram und TikTok – und FOMO auszulösen.
Queer Ears: How to rasie LGBT* voices and earn listener loyalty – Miriam Harner (BR), Rozenn Le Carboulec, Ella Gibson-Weekes (BBC), Sarah Toporoff
Sarah Toporoff hat beim Panel „Queer ears: How to raise LGBT+ voices and earn listener loyalty“ drei junge queere Perspektiven auf die Bühne gebracht:
Miriam Harner hat den Podcast „Willkommen im Club“ vorgestellt. Es ist das erste und einzige dezidiert queere Format beim Bayerischer Rundfunk und zieht das komplett durch: queere Hosts, queeres Team, queere Gäste und queere Expert*innen. Die Community um das Projekt ist zentral, im Fokus sind zwei Zielgruppen: Miriam Harner nannte die eine liebevoll die „queer Babies“ (queere 16-24-jährige), die andere sind queer allies (also Geschwister, Eltern usw.). Weil im Podcast und auf den Social Media-Kanälen des Podcasts sehr persönliche Geschichten geteilt werden, ist die Moderation extrem wichtig: Hass wird sofort gelöscht.
Rozenn Le Carboulec hat ihren Podcast „Quouir“ vorgestellt, den sie für Nouvelles Écoutes produziert hat. In der ersten Staffel gings ums coming out, in der zweiten um gleichgeschlechtliche Ehe und Elternschaft und in der dritten hat sie die Geschichte von Augustin erzählt, der als Kind zu homophoben Demonstrationen mitgeschleppt wurde und später seine eigene Homosexualität erkannte. Außerdem hat sie ihren Newsletter „Gendercover“ vorgestellt, den ich sogleich abonniert habe. Zum Schluss hat sie Maria Lorenz-Bokelberg‘s Zitat vom Vortag wieder aufgegriffen: Podcasting ist ein Safe Space für Frauen und Minderheiten. Deshalb gelte es insbesondere hier, LGBTI-Mitarbeitende zu respektieren und angemessen zu bezahlen.
Beim dritten Vortrag ist mir leider die Sketchnote-Konzentration ausgegangen. Ella Gibson-Weekes hat u.a. von ihrer Arbeit für „Swipe your Sign“ für die BBC gesprochen, und wie wichtig es ist, eine community aufzubauen. Beteiligte mit riesiger Social Media-Reichweite helfen ihrer Erfahrung dabei nach nicht unbedingt – treue Hörer:innen müssen über dutzende, wenn nicht hunderte Folgen an den Podcast gebunden werden.
Smarter Production to Scale Up on Audience Reach
Am letzten morgen war ich zu spät bei den Radiodays, deshalb habe ich leider die Hälfte des Panels „Smarter Production to scale up audience reach“ verpasst, das Albert Menacher von DAVID Systems (das sind die mit der Audio-/Datenbanksoftware DIGAS, mit der habe ich bei Ö1 gearbeitet) auf die Beine gestellt hat.
Was ich noch mitgenommen habe: Giedrius Masalskis vom littauischen Rundfunk LRT hat von der Video-fizierung mancher Radios erzählt, und wie schwierig es da war, das (Moderator_innen)-Team an Bord zu kriegen. Alison Broddle vom kanadischen Rundfunk CBC hat von dessen podcast pivot-Anstrengungen erzählt, die tatsächlich einfach „repurposed radio“ sind. Das Land hat wegen seiner vielen Zeitzonen auch viele morning shows, die als Podcast in (gut beschriftete!) Halbstunden-Segmente aufgeteilt werden. Andrew Davies vom australischen Rundfunk Australian Broadcasting Corporation (ABC) berichtete von seinen Bemühungen in der Organisationsstruktur, „change“ oder „transformation“ wörtlich zu erwähnen hält er für unklug. Frizz Lauterbach vom Bayerischer Rundfunk betonte die Wichtigkeit der Brand – in dem Fall Bayern 3 – und dass sie auch auf z. B. YouTube und Spotify vertreten sein muss, für möglichst viele Touchpoints. Camille Bondeville habe ich erst nach der Session gesprochen (deshalb ist sie nicht auf der Sketchnote), die Audio-in-Google-Docs-Integration, die ihr Startup Sound & Pepper entwickelt, klingt sehr spannend.
Step up your Sonic Branding
„Step up your sonic branding“ versammelte vier Jingle-Produzenten auf einer Bühne, Lee Prince (Prolark Media) hat moderiert. Tom Van der Biest von Brandy meinte: „Talking about music is like dancing about architecture“. Sonic Branding steht in seiner Arbeit auf den beiden Säulen Identität und Funktion. Marc Vickers beschrieb das Jingle-Komponieren als das Übersetzen von Gefühlen und oftmals auch das Komprimieren eines Popsongs. Thomas Giger von PURE Jingles betonte, wie wichtig es ist, Jingles an die Umgebung anzupassen: superkurz auf tiktok, kurz bei YouTube, und auch abseits klassischer Publikumsmedien, z.B. im Flugzeug oder in der Telefonwarteschleife.
The World’s Top 5 creative exercises – Wade Kingsley
Wade Kingsley aka The Creative Coach brachte – in Jogginghosen und Neon-Laufschuhen – seine Top-5-Kreativitätsübungen mit zu den Radiodays. Und zwar:
0. Aufwärmen! Aka „curiosity cardio“. Eine einfache Frage stellen reicht, z.B. Was hast du heute gefrühstückt?
5. „Brain Stretch“ nach Bruce Springsteen, denn einen *spark* braucht es immer: Einfach 10 Wörter aufschreiben, die mit der eigenen Fragestellung zu tun haben.
4. „Idea Lift“, also „What would ___ do?“, z.B. Madonna oder Apple.
3. „Quick Draw“. Inspiriert von Walt Disney einfach dahinkritzeln, dazu lagen Business-Märchen-mäßig Servietten und Sharpies bereit. Ich war ein bisschen im Meta-Moment gefangen, mit dem iPad in der Hand hatte ich ja schon die ganze Zeit über die Session mitgekritzelt…
2. „The eyelid pulldown“, oder schlicht gesagt: Augen zu! Eine Teilnehmerin stellte sich sogleich einen Berggipfel vor, von dem sie Tüten voller Glück über den Landstrich verteilte, so wie das ihr Podcast hoffentlich auch machen würde.
1. Crossfit! Aber nicht das anstrengende mit dem Krafttraining, sondern das von David Bowie: 10 random Wörter zusammenschreiben (die Radiodays-Crowd schlug u.a. „Brezen“ und „Bier“ vor, Bayernklischees galore!) und dann mit den 10 Wörtern vom Anfang kombinieren. Tadaaa: Viele neue Ideen.
Das, was mir weit mehr in Erinnerung bleiben wird als die fünf Kreativitätsmethoden ist Wade Kingsley‘s Präsentationsstil. Er ist ein außerordentlich guter Workshop-Leiter, er hat die Teilnehmenden in jedem Schritt eingebunden und enorm zackig und strukturiert (hilfreich beim Sketchnoten!) durch sein Programm geführt. An den Details zwischendrin – ein Pfeiferl für die Aufmerksamkeit nach dem angeregten Gemurmel in der „Aufwärmübung“ oder eben die Servietten zum Ideenkritzeln – fällt auf, *wie* durchdacht diese Session war.
Engaging Audio Audiences with Audiobooks – Andrea Zuska (RTL), Constance Parpoil (Storytel), Sarah Toporoff
Die für mich letzte Session vor Abreise war nochmal richtig interessant: „Engaging Audio Audiences with Audiobooks“, gehostet von Sarah Toporoff. Andrea Zuska von RTL+ und Constance Parpoil von Storytel erzählten von ihren jeweiligen Geschäftsmodellen (freemium vs. Paid unlimited subscription), davon, wie Podcast- und Hörbuch-Publikum immer näher zusammenrücken und dass Hörbücher heute oft mehr sind als ein vorgelesenes Buch. Mit mehreren Erzählstimmen, Soundeffekten und episodischer Struktur verschwimmen die Grenzen zum Hörspiel immer mehr.
tl;dr: Das Programm der Radiodays Europe war sehr interessant, ich freue mich sehr, dabei gewesen zu sein!