Am 22. und 23. November war ich in München bei der ersten Ausgabe der So Many Voices, einer sehr netten, community-orientierten Podcastkonferenz veranstaltet von hauseins. Ich habe einige Podcastmenschen wiedergetroffen, die ich zuletzt auf der Subscribe 8 im Jahr 2016 (schon damals mit Sketchnotes, aber analog auf A6-Karteikarten) gesehen hatte, und einige IRL kennengelernt, die ich schon lange aus dem Internet kenne, das war wirklich schön.

Ich habe mir auch viele Sessions angehört, und die meisten davon in Sketchnotes festgehalten:

Musik im Audiostorytelling – Joscha Grunewald, Militsa Tekelieva & Paula Georgi

Joscha Grunewald und Militsa Tekelieva (pool artists) erzählten moderiert von Paula Georgi von ihren gemeinsamen Podcastproduktionen, allen voran dem ZEIT Podcast Deutsche Geister.

Joscha hat dafür schon früh ein Hauptthema in verschiedenen Varianten komponiert, sodass Militsa auf einen ganzen Musikschatz zurückgreifen konnte. Die Musik sollte im Idealfall miterzählen, und keinesfalls kitschig oder unsensibel wirken – damit das nicht passiert, gibt es viele (VIELE) Feedbackschleifen.

Am liebsten ist es den beiden, wenn die Autorin schon von vornherein eine Idee für den klanglichen Aufbau und Stimmungsbeispiele für die Musik mitbringt und Redaktion/Produktion durchgehend eng zusammenarbeiten. Ihre Klangvorbilder: NYT The Daily (ein tägliches Format mit eigenem Komponisten!) und Radiolab.

Storyboards. Gamechanger für spannende Geschichten – André Dér-Hörmeyer & Till Ottlitz

André Dér-Hörmeyer und Till Ottlitz vom BR Storyteam stecken hinter Formaten wie 4 Tage Angst, Seelenfänger, Wild Wild Web (einer meiner absoluten Favs z.Zt.!) oder Telephobia. Storyboarding war für sie der Gamechanger in der Entwicklung:

Statt der umgedrehten news-Pyramide, die alle wichtigen Infos zuerst verrät, lassen sie ihre Hörer:innen erstmal warten. Und packen sie nebenbei mit einem greifbaren Protagonisten, in einer bildlichen Szene mit Fallhöhe, wie mit (Achtung, Wild Wild Web-Spoiler) Kim Dotcoms Leberkässemmel.

Sie finden: im deutschsprachigen Journalismus wird viel zu viel in Themen gedacht, ein Thema ist aber nicht gleich eine Story (die braucht z.B. einen Erzählsatz mit weil und aber). Pro Folge widmen sie sich etwa zwei Stunden lang dem Storyboarding, erst dann geht es an die Interviews, damit dabei auch nach den richtigen Sachen gefragt werden kann.

Wie schaffen wir Nähe, ohne Protagonist*innen auszubeuten? – Sandro Schroeder, Lea Utz & Steffi Groth

Nähe ist eines dieser Schlagwörter, die im Podcast-Zusammenhang ständig fallen, und war zentrales Thema der letzten Freitags-Diskussionsrunde, die Steffi Groth moderiert hat.

Sandro Schroeder meint: zu oft werden Menschen in Emotions-Schablonen gequetscht, Trauma performt oder Helden stilisiert. Nähe sei im Podcastbusiness zum Produkt geworden, und ob sich der/die Interviewte mit der eigenen veröffentlichten Geschichte wohlfühlt, wird zweitrangig. Sein Tipp als „Meta-Maus“: Der US-Podcast Shocking heartbreaking transformative, in den ich fix reinhören werde.

Lea Utz erzählt bei Telephobia sehr persönliche Geschichten. Sie meint, dass das Bauchgefühl einer Journalistin nicht reiche, um das richtige Verhältnis von Nähe/Distanz zu finden – es brauche jedenfalls die Redaktion als Korrektiv. Außerdem sind Zeit und Ressourcen nötig, um Nähe aufzubauen und angemessen darzustellen – ein Aufwand, der selten einbudgetiert wird. Sie wünscht sich mehr Produktionen ohne „fette dramaturgische Sequenzen“ und nennt als Beispiel Rumble Strip.

Freelancer*innen im Podcast-Business – Pia Stendera, Simon Wörz & Susanne Klingner

Ich finde, über Arbeitsbedingungen gehört viel mehr geredet (story of my life?? s. Ö1 – vorbei), und deshalb war ich beim Panel „Freelancer*innen im Podcast-Business“. Pia Stendera und Simon Wörz, beide freie Audio-Journalist*innen, beide in Branchen-Kollektiven organisiert, haben mit Susanne Klingner von hauseins die Gesprächsrunde geleitet.

Im Podcast-Bereich gibt es viele verschiedene (mehr oder weniger faire) Vergütungsmodelle, von Pauschalverträgen über Tagessätze bis zu Monatshonoraren. Was sich durchzieht, sind teilweise unterirdische Beträge, die nicht zum Leben reichen. Die Runde war sich einig: wer darauf eingeht, beutet sich nicht nur selbst aus, sondern macht die Preise für die ganze Branche kaputt.

Vielen Auftraggeber*innen ist überhaupt nicht klar, wie viel Arbeit (und wie viele verschiedene „Jobs“/Expertisen) für eine „einfache“ Audioproduktion oder gar eine ganze investigative Podcastserie nötig sind. Das genau aufzudröseln, kann beim Verhandeln um faire Entlohnung helfen. Darüber hinaus braucht es mehr Transparenz unter Audio-Macher:innen – Branchenmindeststandards oder einen „code of fairness“.

Frei, authentisch & professionell: Gespräche in Podcasts – Moritz Metz & Katrin Rönicke

Ein guter Gesprächspodcast kann sich (auch ohne aufwendiges Sounddesign, Musik, etc) selbst genug sein – aber dafür muss das Gespräch schon gut sein. „Frei, authentisch und professionell“ waren auf dem So Many Voices-Panel die zentralen Schlagworte diesbezüglich. Moritz Metz (DLF) und Katrin Rönicke (hauseins) haben ihre besten Tipps aus dem Radio- und Podcast-Alltag geteilt, darunter:

  • … für ein Podcastgespräch sind 3-5 zentrale Fragen i.d.R. genug, damit auch genug Raum fürs Zuhören und Nachfragen bleibt
  • … Einstieg und Ausstieg auszuschreiben, hilft, sich sicher zu fühlen, dazwischen ist Platz fürs freie Reden
  • … ein Vorgespräch (1 Woche, nicht erst 1 Tag vorher), kann Gesprächspartner*innen Unsicherheiten nehmen und klarmachen, welche Tonalität im Interview gefragt ist
  • … es ist außerordentlich wichtig, der „talk overpreparedness“ von Nerds entgegenzuwirken, d.h. sie von zu viel Detailtiefe und Wort-für-Wort abgelesenen Antworten wegzuholen
  • … eine Regieperson, die NUR zuhört (nicht auch noch Technik etc macht) und ggf. durch Zuruf oder Chat „einschreitet“, hilft, das Gespräch zu lenken

Was ich persönlich super interessant fand: Moritz Einblicke in die Produktion von The Daily. Dafür werden üblicherweise 90 Minuten aufgezeichnet, aber viele Interaktionen im Gespräch wiederholt, bis sie verständlich und gut klingen. Nach dem Schnitt bleiben meist nur 20-30 Minuten übrig. Schon vor der Aufnahme gibt es ein ausführliches Skript als Google Doc, in dem auch live kommentiert wird.

Ich hoffe, es gibt kommendes Jahr eine weitere Ausgabe der Konferenz, es war eine große Freude, dabeizusein.

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