Wer mich kennt (oder mein Blog liest), weiß, dass ich ein ziemliches re:publica-Fangirl bin. Tatsächlich war der Livestream der #rp14 nicht nur mein Tor in eine neue Welt für mich (wo „ins/übers Internet schreiben“ ein Beruf war!), sondern auch mein erster Berührungspunkt mit Sketchnotes – und ihr seht selbst, wohin das geführt hat! 🙂

Dieses Jahr hatte ich wegen anderer Termine nicht eingeplant zur #rp20 nach Berlin zu fahren, umso mehr freute ich mich aber, dass sie wegen der Coronapandemie nicht komplett abgesagt, sondern ins digitale Exil verlegt worden war. Ich war eigentlich den ganzen Nachmittag und Abend über live dabei, fühlte mich aber ab der ersten Minute gestresst. Das grelle, blinkende TV-Design und vor allem die extrem dichte Taktung (nichtmal Pausenmusik, sondern Video-Nachrichten zwischen den einzelnen Talks) machten mir zu schaffen. Ich versuchte, alles gehörte wie gewohnt in Sketchnotes festzuhalten, doch das führte dazu, dass ich quasi jeden zweiten Talk aushalten musste, weil die Zeit nichtmal zum vertwittern reichte…

Nix los auf Twitter?

Bisher habe ich mehr re:publicas aus der Ferne verfolgt als IRL besucht (hier mein Rückblick auf die #rp16) und war damit eigentlich ganz zufrieden. Bei der #rp20 fehlte mir aber irgendwas – sie kam mir für eine Netzveranstaltung ziemlich linear vor (ich muss dazusagen, dass ich die zoom-Deepdives nicht genutzt habe, weil ich von den „normalen“ Streams eh schon überfordert war) und irgendwie war auf Twitter auch nicht recht was los. In meinem Tweetdeck rauschten vor allem „seht her, rp auf meinem Schreibtisch ist so cool“ oder „dieser Talk klingt interessant“-Tweets durch, aber kaum echte Auseinandersetzung mit den Themen.

Die einzige Ausnahme scheint mir @mareicares Kritik an dem „Daddyblogger“-Talk zu Un-/Vereinbarkeit und Familie zu sein, den ich aber nicht angeschaut habe.

Ein paar der (inhaltslosen) random rp-Klassiker fand ich aber trotzdem super:

Sketchnotes!

Ich schätze mal, ihr seid nicht wegen der Veranstaltungsrezension hier, sondern wegen meinen Sketchnotes und vielleicht auch Nachschau-Empfehlungen. Die folgende Talk-Aufzählung ist deshalb nicht chronologisch, sondern von „sehenswert“ zu „vielleicht gar nicht so wichtig“ geordnet. Ich habe wie gesagt viele Talks, die ich eigentlich sehen wollte, nicht geschafft, ich werde sie ggf. später noch dazuschreiben.

„Die Coronavirus-Pandemie als Agitationsfeld für Rechtsextremismus“ – Miro Dittrich und Susanne Rafael (Amadeu-Antonio-Stiftung)

Sketchnote zum #rpREMOTE-Talk "Die Coronavirus-Pandemie als Agitationsfeld für Rechtsextremismus" von Miro Dittrich und Simone Rafael von der Amadeu-Antonio-Stiftung
„Die Coronavirus-Pandemie als Agitationsfeld für Rechtsextremismus“

Aus diesem Talk konnte ich ziemlich viel mitnehmen. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass „Verschwörungserzählungen“ ein besserer Begriff ist als „Verschwörungstheorien“ ist, weil er weniger legitimierend ist. Von rechtsterroristischen Memes zur Coronakrise hatte ich zuvor (glücklicherweise?) auch noch nie gehört. Die anfängliche Bestandsaufnahme der beiden Speaker_innen ist ziemlich ernüchternd: (antiasiatischer) Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus und Hetze gegen Politiker_innen nehmen im Zusammenhang mit der Pandemie zu. Aber Miro Dittrich und Simone Rafael hatten auch ein paar Empfehlungen, wie eins diesen Problemen entgegentreten könnte.

Twitter Trending Topics: Bericht einer teilnehmenden Beobachtung“ – Luca Hammer

Sketchnotes zum #rpREMOTE-Talk "Twitter Trending Topics: Bericht einer teilnehmenden Beobachtung" - Luca Hammer

Luca Hammer hat schon auf vielen re:publicas vorgetragen und ich fand seine Talks immer aufschlussreich (auf meinen früheren sehenswert-Listen: #rp17 „Mit den Trollen ums Datenfeuer tanzen“ und #rp18 „Bist du ein Bot?“). Deshalb habe ich mir auch den diesjährigen angeschaut, in dem er über Twitter Trending Topics sprach. Mit denen hatte ich (obwohl Twitter-Heavy-Userin) noch kaum zu tun, was offenbar eher ungewöhnlich ist.:

Jedenfalls hatte Luca Hammer über ein Jahr lang alle Trending Topics in Deutschland mit einem raspberryPi aufgezeichnet und ein paar Schlussfolgerungen daraus gezogen. So ist zum Beispiel nicht die absolute Zahl an Tweets zu einem Thema wichtig, um in die Top5 zu gelangen, sondern die höchste Zunahme an Tweets. (Regelmäßige) Themen mit Eventcharakter wie TV-Diskussionen, der Tatort oder Fußballspiele haben deshalb gute Chancen, darin aufzutauchen. Ich frage mich, ob die #rpREMOTE eigentlich auch in den gestrigen Trends war?

„Our Data, our Cities – Building a Global Data Commons“ – Francesca Bria im Interview mit Geraldine de Bastion

Sketchnote zur #rpREMOTE "Our Data, our Cities - Building a Global Data Commons" - Francesca Bria im Interview mit Geraldine de Bastion

Das hier war einer dieser Slots, der mir vorkam wie lineares TV, mit Geraldine de Bastion erst im blinkenden Studio und dann an ihrem (?) Schreibtisch und Francesca Bria in einem sonnigen Innenhof in Rom. Zugegeben, eine Voraufzeichnung anders zu präsentieren wäre auch schwierig gewesen, aber für mich war das Interview wegen seiner Dichte etwas schwierig zu verfolgen (gut, dass eins nebenbei googlen kann!). Die Grundzüge von Francescas Project DECODE in Amsterdam und Barcelona habe ich aber glaube ich dennoch verstanden. Es ging darum, eine smart city so zu konstruieren, dass die Menschen im Zentrum stehen (statt Überwachungskapitalismus wie im US-amerikanischen oder staatliche Totalüberwachung im chinesischen Modell). Die Auffassung von Daten als kritische Infrastruktur (im Gegensatz zum ausbeutbaren „Öl“ oder so) ließ mich btw wieder an die großartige PlanetB-Podcasfolge mit Lorena Jaume Palasi zum Thema „Algorithmen, Ethik und Künstliche Intelligenz“ denken.

Alles am Internet ist super“ – Kathrin Passig und Leonhard Dobusch

Diesen Vortrag wollte ich unbedingt sehen, nachdem ich seine Entstehung im Techniktagebuch mitverfolgt habe:

Ich trage das Oberteil meines Schlafanzugs, weil meine Vortragshemden in Berlin geblieben sind. Kann ja niemand ahnen, dass man im Pandemie-Exil ein Vortragshemd braucht. […] Nach einer halben Stunde muss Leonhard weg, seine Kinder aus dem Kindergarten abholen.

Ich habe nicht mitgekritzelt, weil der Talk mehr Unterhaltungsformat war und ich eine Sketchnote-Pause brauchte. Lustig fand ich ihn trotzdem – die Überlegungen, wie so eine Pandemie vor 20 oder 30 Jahren verlaufen wäre fand ich auch recht interessant, weil ich damals (wohl) nichts davon mitbekommen hätte.

„#CoronaSchule: Digitaler Morgenkreis und Schulausflug nach New York“ – Jöran Muuß-Merholz, Maria Kruse, Maike Schubert

sketchnotes zum #rpREMOTE gespräch "#CoronaSchule: Digitaler Morgenkreis und Schulausflug nach New York" - Jöran Muuß-Merholz, Maria Kruse, Maike Schubert

Diesen Talk schaute ich um Mitternacht noch im re:live – nicht, weil ich persönlich so viel mit Schulunterricht zu tun hätte (abgesehen von einem Volksschullehrer in meiner WG), sondern vor allem, weil ich interessant finde, was Jöran Muuß-Merholz so macht (z.B. den uneigentlich-Podcast oder das Buch Routenplaner #digitaleBildung). Hier übernahm er nur die Moderationsrolle und ließ zwei Lehrerinnen – Maike Schubert, Direktorin einer Gesamtschule und Maria Kruse, Grundschullehrerin am Land – aus ihrem veränderten Alltag erzählen. Sie klangen ziemlich motiviert und konnten der „Zwangsdigitalisierung“ durch die temporären Schulschließungen einiges Positives abgewinnen. Aber strukturell gesehen ist im deutschen Schulsystem offenbar noch einiges im Argen.

Daten, Daten, Daten: Welche Daten helfen im Kampf gegen das Virus?“ – Alice C. McHardy, Fabian Theis, Xenia von Polier

sketchnotes zum #rpREMOTE talk Daten, Daten, Daten: Welche Daten helfen im Kampf gegen das Virus?" - Alice C. McHardy, Fabian Theis, Xenia von Polier

In diesem Gespräch gaben Alice C. McHardy und Fabian Theis, zwei Forscher_innen des Helmoltz-Instituts, Einblick in ihre Arbeit. Es hat mich etwas irritiert, dass auch die Moderatorin Xenia von Polier dort arbeitet, die re:publica die Bühne also komplett an seine Partnerorganisation hergab, aber andererseits hätte sich jemand anderes vielleicht auch nicht so kurzfristig in dieses Thema einarbeiten können.

Das Gespräch war leider ziemlich kurz und so ging es fast nirgends in die Tiefe (bei so komplexem Zeug sind mir zweistündige Laberpodcasts lieber, tbh), nur die Frage nach möglichst erfolgreichem Einsatz von Machine Learning in der Molekularbiologie wurde etwas ausführlicher behandelt. Beide waren sich einig, dass das nur klappt, wenn hochwertiges Datenmaterial zur Verfügung steht und die Leute, die damit arbeiten sowohl Ahnung von Statistik als auch fachliche Expertise haben.

Richard Sennett on Urban Resilience, Data Privacy and Neoliberalism

Vor diesem Slot dachte ich, dass Richard Sennett so etwas wie der Keynote-Speaker der #rpREMOTE ist, doch leider war es kein zusammenhängender Vortrag, sondern nur ein Interview. Und das krankte in meinen Augen genau wie die meisten anderen daran, dass die Inhalte zu komplex und die Zeit zu kurz war. Eine Anmerkung von Richard Sennett blieb mir allerdings im Gedächtnis: Er meinte, dass „die heutige Linke“ alles mit gesetzlicher Regulierung lösen will, dass der Weg zur Gerechtigkeit tatsächlich aber in sozialer Interaktion zwischen Bürger_innen liege.

Mein Sketchnote zu diesem Interview tauchte übrigens sogar kurz im Pausenprogramm auf (auf dem sich das grelle Design der Veranstaltung erahnen lässt):

Screenshot YouTube Live

In den nächsten Tagen werde ich noch Links zu den Aufzeichnungen der einzelnen Talks einfügen und hoffentlich selbst noch ein paar nachschauen, insbesondere „Fake Facts – Wie Verschwörungsideologien unser Denken bestimmen“ (Katharina Nocun, Pia Lamberty), „TINCON TALK: News(letter) is the shit: Politics for Gen Z“ ( Sham Jaff, Olivia Seltzer), „Protestkunst in Hongkong“ (Katharin Tai) und „Ein Blick hinter die Kulissen des erfolgreichsten Corona-Podcasts“ (Korinna Hennig, Katharina Mahrenholtz, Markus Beckedahl).

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